Die moderne Welt bringt neben ungeheurem technologischem Fortschritt auch äußerst befremdliche und für den unbedarften Betrachter ausgesprochen seltsame Phänomene hervor. Auf der einen Seite ist es unbestreitbar, dass Fortschritte in Medizin, Wissenschaft, Technik und IT die Welt für Millionen von Menschen erträglicher, komfortabler, ja besser gemacht haben. Aber der Fortschritt treibt auch seltsame Blüten. Das Phänomen ist bekannt: Hygienewahn und penible Abschirmung von Keimen führte nachweislich zu einer ungleich höheren Prävalenz von Atemwegserkrankungen und Allergien im sauberen Westdeutschland — im Vergleich zur populationstechnisch doch sehr ähnlichen Bevölkerung der ehemaligen DDR.
Helikoptereltern, Bewegungsmangel und Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern durch Dauerexposition in Social Media — Zivilisationskrankheiten, die unter dem Schlagwort Wohlstandsverwahrlosung subsumiert werden können, bilden die Kehrseite der Medaille. Abermals fühle ich mich bemüßigt, hier eines der Kerndikta zu bemühen, das eine zeitlose Wahrheit ausdrückt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Was ich ebenfalls nur als seltsames Zeitgeistphänomen einordnen kann, ist die manichäische Verortung zeitgenössischer Politiker als „gut“ oder „böse“, „dumm“ oder „intelligent“, „kompetent“ oder „inkompetent“. Wie — frage ich mich dann — können meine Mitbürger, beim Anblick von diesem oder jenen Dampfplauderer, Studienabbrecher, notorischen Taugenichts, Paradebeispiel von Inkompetenz und/oder Abgehobenheit oder hoffnungsloser Selbstüberschätzung allen Ernstes glauben, es mit eloquenten, hochkompetenten, lösungsorientieren, bescheidenen und nahbaren Volksvertretern zu tun zu haben? Woher kommen die hohen Sympathiewerte für prominente Individuen der politischen Öffentlichkeit? Leben wir — physisch oder gedanklich — noch auf demselben Planeten?
Wobei es mir in Wahrheit lieber wäre, Politik würde gar keine — oder allenfalls eine marginale Rolle — in meinem Leben spielen. Wenn fast nichts politisch wäre, die Dinge einfach ihren Lauf nehmen würde, ohne dass man groß über sie nachdenken müsste, könnte ich mich stärker auf Karriere, Familie, Lektüre und Schreibhandwerk konzentrieren und müsste mir keine Gedanken darüber machen, ob morgen schon ein paar Hanseln in hohen Ämtern den 3. Weltkrieg riskieren, weil sie was-weiß-ich-für psychopathologische Störungen haben und den Klimawandel für bedrohlicher halten als den thermonuklearen Holocaust.
Aber wir leben nun mal im Westen in einer Welt, in der die Handlungen von Politikern unmittelbare Auswirkungen auf Leben und Wohl eines jeden einzelnen haben – egal, ob man sich für Politik interessiert, geschweige denn in ihr engagiert, oder nicht.
Meine Einstellung zur Politik war immer folgende: Es ist mir vollkommen schnuppe, wie jemand aussieht, wie er redet, womit er sich identifiziert oder was er ist — Hauptsache, er handelt in meinem Sinne. Oder, um es etwas umzuformulieren: Er lässt mich so gut es geht in Ruhe. Der große Libertäre Roland Baader formulierte es einmal folgendermaßen: Das einzig wahre Menschenrecht ist das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Kann ich genauso unterschreiben.
Umso verwunderter bin ich über den homo contemporaneus bundesrepublikanensis, welche Kriterien er bei seinen Repräsentanten so für wichtig hält. Gut aussehen sollte er zum Beispiel. Gut reden können (aber nur das, was er selbst für richtig und wichtig hält). Links sein — auf jeden Fall (hat ja so irgendwie äh … mit Gerechtigkeit zu tun, ne?). Bestimmt nicht rechts. Nee, auf keinen Fall rechts. Rechts ist pfui, ganz schlimm, Nazi.
Meine Ansprüche: Intelligenz, Kompetenz, sollte meine Interessen vertreten. Wobei ich keine Klientelpolitik will. Ganz im Gegenteil: Ich will, dass man das Gute bewahren und sukzessive verbessern kann, dass der Staat — wenn es ihn schon geben muss — für seine Kernaufgaben wie innere und äußere Sicherheit, Polizei, Verwaltung, Infrastruktur und Justiz sorgt und mich ansonsten in Ruhe lässt (das kann kurzfristig durchaus auch mal gegen meine Interessen gehen). Das war’s.
So gesehen verstehe ich die überwältigende Mehrheit derer in der BRD nicht, die allen Ernstes für eine Politiker-Retorten-Frau wie Kamala Harris votieren würden, wenn sie auch Donald Trump wählen könnten.
Auf der anderen Seite verstehe ich selbstredend die Hintergründe ganz gut: Wer über Jahr und Tag medial und gesamtgesellschaftlich immer und immer wieder ad nauseam mit dem Narrativ überrotzt wird, dass es sich bei Donald Trump (analog bei Viktor Orbán, Wladimir Putin oder zig weiteren Politikern rechts von Mao Zedong) um einen autoritären, rassistischen, frauenverachtenden, fremdenfeindlichen hier bitte noch weitere despektierliche Epitheta einfügen handelt, bei dessen Wiederwahl ins Weiße Haus die Heraufkunft der Apokalypse nur eine Frage der Zeit ist — und wer dem auch noch Glauben schenkt (!), der wird sich wohl freiwillig die graue Masse unter der Schädeldecke in Bratwurstbrät verwandeln lassen.
Aber was haben die Deutschen — analog zu vielen US-Liberalen — nur gegen Donald Trump? Er will seinem Land Priorität vor allen anderen einräumen („America First“). Gut. Er will die Wirtschaft auf Vordermann bringen — und hat dies in seiner ersten Amtszeit bereits bewerkstelligt. Gut. Er will Frieden (!) in der Ukraine und dem Mittleren Osten und hat als erster US-Präsident seit … ähm … gefühlt immer keinen neuen Krieg angefangen (und ganz nebenbei mit seinen Abraham Accords die Grundlage für eine historische Détente zwischen mehreren arabischen Staaten und Israel geschaffen). Fantastisch. Er tritt massiv für Meinungsfreiheit ein, setzt Meinungsfreiheitsabsolutisten wie Elon Musk an hochrangige Positionen und lehnt Zensur ab. Ganz groß. Er macht bei der völlig aus dem Ruder gelaufenen Klimahysterie ebenso wenig mit wie bei dem als DEI („diversity, equity and inclusion“) verschleierten Neo-Rassismus. Exzellent.
Seine Konkurrentin im Kampf ums Weiße Haus hingegen nahm zu fast allen genannten Positionen die konträre Position ein (wenn sie — mit Erlaubnis ihrer Berater — es denn einmal wagte, sich überhaupt zu äußern). Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, warum Trumps politische Agenda etwas Verurteilenswertes sein sollte.
Dass so viele hierzulande und auf der Welt der Person Trump derart irrational kritisch gegenüberstehen – denn bei genaueren Nachfragen kommen immer wieder haltlose Platitüden, ad-hominem-Attacken statt substanzieller Alternativpolitik und emotionale Ausbrüche als Reaktion — muss m. E. tiefgründige psychopathologische Faktoren haben. Tatsächlich wird eine solche Störung der Wahrnehmung in Bezug auf diese Person mit dem Terminus Trump Derangement Syndrome (kurz TDS) beschrieben (bemerkenswert übrigens das Fehlen einer deutschen Version des Artikels). Man achte auf Personen des öffentlichen Lebens — in Medien, Politik, Gesellschaft — mit einem gewissen Bekanntheitsgrad und ausreichender medialer Reichweite: Niemals wird auf die Substanz eingegangen – immer nur auf die Person Trump eingedroschen. Von dieser Erkrankung Betroffene neigen zu unkontrollierten physiologischen Manifestationen aller Art, von irrationalem Himmelschreien (meine Prägung hierfür: Vociferatio ad caelum), Koprolalie und Hysterie (heute politisch korrekt zumeist als Hystrionische Persönlichkeitsstörung bis zu Hyperventilation — wobei mit dem TDS eine Vielzahl und in ihrer Morphologie äußerst disparate psychopathologische Symptome auftreten können.
Für besonders bizarr halte ich die „Kritikpunkte“ mancher, die Donald Trump vorwerfen, er „schüre Hass“, tweete ungehobelt oder äußere sich zu derb und „volksnah“ (ergo: unverschwurbelt, im Gegensatz zur pseudoelitären und regierungskadavergehorsamen Journaille). Seit wann, bitteschön, sticht in Sachen Politik — zumal, wenn es um Krieg oder Frieden, Wohlstand oder Pleitewellen, Massenmigration oder Remigration Ausreisepflichtiger und Durchsetzung geltender Gesetze in gleicher Weise für alle geht — die Form den Inhalt? Wer, bitteschön, regt sich Latte-Macchiato-schlürfend über den Idiolekt des US-Präsidenten auf, heißt aber den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Niedergang seiner unmittelbaren Umgebung gut oder schweigt dazu?
Wenn Trump es schaffen sollte, durch seinen Einfluss zuerst die amerikanische und danach die globale Öffentlichkeit zunehmend auf seine Seite zu ziehen, seine angekündigten Wahlversprechen umzusetzen und für gute Zeiten zu sorgen, könnte er meines Wissens der erste US-Präsident der Geschichte sein, der eine Krankheit weitgehend ausrottet — eben das auf ihn bezogene TDS. Wenn man ihm schon den Friedensnobelpreis verwehrt — wie wäre es mit dem Nobelpreis für Medizin?